top of page

Zum Sterben braucht man keine Schlüssel

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 18. Dez. 2022
  • 3 Min. Lesezeit



Der Alltag des Sterbens in deutschen Kliniken


„… und verstarb ruhig im Kreise der Familie.“ So liest man es oft in Romanen und zuweilen in Todesanzeigen, so wünscht man sich es für seine Angehörigen und so würden die meisten von uns wohl auch selbst gerne sterben. Ruhig, ja friedlich, seinen letzten Atem aushauchen. Stattdessen kann es ihnen aber auch passieren, dass sie mit ihrer austherapierten Grunderkrankung bei absehbar bald eintretendem Tod, von Station zu Station, von Krankenhaus zu Pflegeeinrichtung zu Krankenhaus verschoben werden. So neulich erst wieder im Bekanntenkreis geschehen. Der Patient wurde letztlich per Zwangseinweisung in die geschlossene Psychiatrie abgeschoben. Hat der Mann randaliert? Ja hat er, vor allem verbal. Und das Personal auf der Station war nicht länger willens und vielleicht auch nicht fähig damit umzugehen. Jedenfalls ließen sie ihn in die nächst gelegene Psychiatrie einweisen. Problem gelöst? Auf der Station ist es wieder ruhig und juristisch ist die Sache auch sauber. Und der Patient? Starb ein paar Nächte später allein. Wahrscheinlich blieb am Ende keine andere Möglichkeit mehr, als den Patienten auf eine geschlossene Station zu verlegen. Aber warum ist es soweit gekommen?

Der Patient war viele Jahre lang in einem Ministerium tätig. Er war ein sehr korrekter, vielleicht etwas pedantischer Mensch, der sowohl im Büro als auch zu Haus seine Angelegenheiten strikt in Ordnung hielt. Als er schwächer wurde und ins Krankenhaus kam verlangter er immer häufiger nach seinem Schlüsselbund. Er verdächtigte das Personal und seine Angehörigen, ihm die Schlüssel gestohlen zu haben, und wurde zunehmend aggressiv. Wahrscheinlich kommt dem Außenstehenden dieses Verhalten merkwürdig, ja irrational vor. Zum Sterben braucht man keine Schlüssel.

Der Patient war seinem Krebsleiden im Endstadium machtlos ausgeliefert. Zunehmend verzweifelt suchte er vielleicht nach etwas, dass für ihn Normalität und Kontrolle versprach. Der Schlüssel ist nun gerade so ein Symbol für die Fähigkeit, seine Umwelt zu kontrollieren. Wer die Schlüssel hat, verwaltet gewissermaßen die Zugriffsrechte, man ist der Administrator des eigenen Lebens. Berücksichtigt man den auch geistig zunehmend eingeschränkten Zustand des Patienten, dann ist die auf den ersten Blick wirr erscheinende Forderung nach seinem Schlüsselbund, vielleicht gar nicht mehr so wirr. Und auch die zunehmende Aggression ließe sich als Reaktion auf den Kontrollverlust verstehen. Eine (ja auch nur möglicherweise) überzeugende Erklärung für die Eskalation der Situation zu haben, bedeutet ja noch lange nicht, die Eskalation auch verhindern zu können.

Was fehlte war ein klares Behandlungskonzept. Angesichts des austherapierten Krebsleidens hätte es sich nur um palliative Maßnahmen handeln können, also nur noch um die Linderung von Beschwerden. Stattdessen plante man für eine weitere Erkrankung, die beim Patienten entdeckt wurde, eine kurative Behandlung. In einem Pflegeheim, dass zwischenzeitlich als mögliche Unterbringung für den Patienten in Betracht kam, warb der Leiter der Einrichtung damit, dass der Patient mit den anderen Bewohnern Bingo und Federball spielen könne. Mir kommt es fast so vor, als ob der todkranke Patient genauso behandelt wurde, wie ein Patient, der zum Beispiel für eine Gallenblasen OP oder die medikamentöse Einstellung eines Diabetes aufgenommen wird mit der klaren Perspektive nach ein paar Tagen wieder entlassen zu werden. Das ein solches Vorgehen den Bedürfnissen eines Sterbenden nicht gerecht wird, liegt auf der Hand. So absurd es klingen mag, letztlich hatte in dieser Fallgeschichte nur die Psychiatrie ein klares Behandlungskonzept: Den Patienten davon abzuhalten, sich und anderen zu schaden, mit anderen Worten, ihn ruhig zu stellen.

Palliativmedizinische Stationen und Hospiz-Einrichtungen zeigen, dass es anders geht. Es wäre wünschenswert, wenn auch in Krankenhäusern ohne eigene Palliativmedizin mehr auf die Bedürfnisse von Sterbenden geachtet würde. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass viele Menschen nicht bereit sind, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.


 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Kino Macht Kultur

Da wollte ich heute Abend doch so gerne ins Kino gehen. Aber mein Freund Tom, der muss noch bügeln, weil er in den Skiurlaub fährt. Hat...

 
 
 

コメント


Schreibt mir, ich freue mich auf euer Feedback

Danke für die Nachricht!

© 2023 Das Fundbüro / Felix Thiele

bottom of page