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RIOT@myUniversity

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 7. Mai 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Mai 2024

Die Studenten-Proteste, die derzeit viele amerikanische Universitäten erschüttern, haben sich vor allem an der humanitären Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen entzündet, die sich vor den Kämpfen zwischen Hamas und Israel kaum in Sicherheit bringen können. Mittlerweile kann man aber den Eindruck bekommen, dass das Leid der Bevölkerung immer weiter in den Hintergrund tritt beziehungsweise eine abstrakte Chiffre für etwas Schlimmes geworden ist, für das man denjenigen die Verantwortung gibt, gegen die man protestiert. Das drängende humanitäre Anliegen scheint dem Kultur-Kampf weichen zu müssen, der seit langem die amerikanische Gesellschaft belastet. Die Sprachlosigkeit zwischen den Lagern wird immer größer und einzelne Gruppen radikalisieren sich. Das Stürmen von Parlamenten und Universitäten scheint salonfähig zu werden. Ob das gut gehen kann, kann ich nicht beurteilen, aber ein bisschen Wasser zwischen hier und da ist ganz beruhigend. Und wir haben schließlich unsere eigenen Radikalen.

Auch unseren Universitäten droht Gefahr. Sie meinen ein bisschen Luft unter den Talaren, die man vielerorten aus dem Kostümverleih zurückgeholt hat, könne auch heute nicht schaden? Zugegeben: Universität ist oft nicht cool. Das geht schon bei den Uni-Mensen los, deren Auswahl an verschieden-gleichschmeckenden Gemüsebratlingen vielleicht schon das Beste ist, was man von ihnen sagen kann. Dicht auf den Fersen im Kampf um den Uncool-Award sind ihnen die Uni-Verwaltungen, besonders die Studentensekretariate. Letztere reagieren auf erhöhtes studentisches Nachfrage-Aufkommen gerne mit verkürzten Sprechzeiten. Weiter gehts durch mit veralteter Technik ausgestatteten Hörsälen - wer weiß, was ein Auflichtprojektor ist? - zu Seminarräumen light, d. h. Räumen wahlweise ohne ausreichende Sitzgelegenheiten, Tafel oder Tageslicht. Und dann sind da ja noch die Professoren, deren intellektuelle Strahlkraft und akademische Brillanz auch nicht für jeden Studenten sofort erkennbar sind. Erstere denken über letztere übrigens oft auch nicht viel anders mit dem Unterschied, dass die Professoren teilweise so von der Lehre aufgefressen werden, dass ihnen für die Forschung kaum Zeit bleibt. Universität kann im Alltag ein Ärgernis sein. Aber im Ernst, wer schreibt sich an der Uni ein, weil er gut essen will?

Historisch gesehen ist die Universität einer der zentralen Faktoren für die Entstehung der wissenschaftlich-technischen Kultur, die unser Land wie überhaupt den Westen in den letzten rund anderthalb Jahrhunderten so erfolgreich macht. Denn hier, an den Universitäten fand und findet immer noch ein Großteil der Forschung statt, die den wissenschaftlichen Fortschritt erst möglich macht und hier werden auch diejenigen ausgebildet, die diese Kultur in die Zukunft weitertragen sollen. Dazu gehört auch die gesellschaftswissenschaftliche Analyse der Vergangenheit und Gegenwart, um Fehlentwicklungen zu erkennen und gegenzusteuern oder sie zumindest in der Zukunft nicht zu wiederholen. Die dabei zu diskutierenden Probleme sind häufig normativer Art, das heißt, sie können nicht empirisch durch das Studium der Natur beantwortet werden. Sie sind das Ergebnis komplexer gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, zu deren Analyse die Gesellschaftswissenschaften einen wertvollen Beitrag leisten können. Themen wie der Post-Kolonialismus oder Genderstudies antworten auf Probleme der Zeit. Sie können uns helfen, uns in der Welt zu orientieren. Daher sind kontroverse Debatten wie die genannten oder zur Klimakrise auch nicht fehl am Platz in der Universität, sondern dort gerade richtig. Es geht also nicht um das ob, sondern um das wie.

Wissenschaftlicher Fortschritt, zumindest bei bahnbrechenden Entdeckungen oder Erfindungen, schlägt neue Richtungen ein, was unter anderem bedeutet, dass oft bisher für richtig gehaltene Hypothesen oder Theorien infrage gestellt werden. Dass dies nicht selten zu sehr kontroversen Diskussionen führt, ist bekannt. Ohne die Möglichkeit einer freien kritische Diskussion auch kontroverser Themen, d. h. ohne Meinungsfreiheit dürfte sich die Wissenschaft aber um einiges langsamer und weniger erfolgreich entwickeln. Die wichtigste Aufgabe einer Universität ist es daher, dafür zu sorgen, dass in ihren Grenzen eine freie kritische Diskussion möglich ist. Forschungs- und Meinungsfreiheit haben auch an der Universität Grenzen. Wo genau die Grenzen verlaufen, kann im Einzelnen durchaus kontrovers sein. Allerdings gibt es auch überschießende Entwicklungen wie die seit einigen Jahren die Cancel Culture, die grob gesagt einen Versuch darstellt, bestimmte Themen oder Personen von vornherein nicht zur Diskussion zuzulassen, also die wissenschaftliche Meinungsfreiheit außer Kraft zu setzen. Die eskalierenden Proteste an den amerikanischen Universitäten sind nur eine logische Fortsetzung der Cancel Culture. Nach dem Motto „Wer nicht hören kann, muss eben fühlen“ wird der Druck erhöht. Man muss das nicht gleich von einer Riot Culture sprechen, aber es ist klar, dass der Weg zur Gewalt immer kürzer wird oder überschritten ist, wenn Protestierende anderen Studenten allein aufgrund ihrer Nationalität den Zugang zum Universitätsgelände verwehren.

Wirklich bedrohlich wird es aber, wenn die Cancel Culture auch auf die Institutionen übergreift, die gerade ein Ort freier Diskussion sein sollen –die Universitäten. Wenn eine Universitätsleitung leichtfertig zum Beispiel Proteste durch einen robusten Polizeieinsatz wegen angeblicher Sicherheitsbedenken auflösen lässt, dann gefährdet sie die Diskussions- und Forschungsfreiheit innerhalb ihrer Grenzen und damit die Grundlagen für ihren eigenen Erfolg. Es geht also nicht so sehr darum, dass mal ein Hörsaal verwüstet wird oder die Polizei Studenten in Handschellen abführt, es geht um die Bedeutung der Universität für die liberale Gesellschaft.


Ausführlicher dazu

Felix Thiele (2024) Medizin im Wandel. Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, Kapitel 4.2 Freiheit und Forschung


 
 
 

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