Mit dem Unternehmen Zukunft auf Reisen. Eine Mini-Reportage in zwei Teilen
- Felix Thiele
- 3. Mai 2023
- 3 Min. Lesezeit

Teil 1: In das wilde Neckartal
Da hab ich vor ein paar Tagen meine Ex-Schwiegermutter besucht. Danke der Nachfrage, es geht ihr gut und es war eine Freude, sie zu treffen. Für die Reise hatte ich mir etwas besonderes ausgedacht, denn unser Learjet wird gerade neu lackiert und den Heli hatte meine Tochter ausgeliehen. Also hab ich mir gedacht, mach ich mal was ganz Wildes, und fahre mit der Bahn. Natürlich erinnerte ich mich sofort an den 2. Juni 1991 als 41 neue ICE Züge in Dienst gestellt wurden. Damals nannte sich die Bahn "Unternehmen Zukunft“. Das ist jetzt gut 30 Jahre her, dachte ich mir, da hat die Zukunft sicher schon angefangen. Um Kosten zu sparen - sie wissen: der Learjet - habe ich beschlossen, ich fahre mit den Regionalzügen. Von Bonn nach Tübingen: Sieben und eine halbe Stunde: Wenn man ein Buch fertig schreiben will, Liebeskummer hat oder ähnlich zeitintensiven Beschäftigungen nachgeht, ist das doch eine angenehme Vorstellung.
Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt und so trat ich wohlgemut über meine Türschwelle und ging zur Bushaltestelle ganz in der Nähe. Dann wartete ich … denn der Bus zum Bahnhof hatte 10 Minuten Verspätung und ich würde meinen Zug verpassen. Der Zug hatte dann aber 20 Minuten Verspätung. Das haben die doch schon mal gut organisiert, die Leute von der Bahn, finden sie nicht?
Als der Zug nicht lang, nachdem er Bonn hinter sich gelassen hatte, das erste Mal an einem kleinen, verlassenen Bahnhof außerplanmäßig zum Stehen kam, war der Schaffner bestens präpariert und riet uns, doch en wenig auf dem Bahnsteig zu flanieren und vielleicht ein Zigarette zu rauchen, denn es könne dauern.
Wieder im Zug, bemerkte ich, dass die beiden Sitzreihen hinter mir durch Glasscheiben abgetrennt waren. Dies war die erste Klasse, deren Exklusivität vor allem in einem auf die Glasscheiben geklebten Hinweis "1. Klasse“ bestand. Dort hatten zwei fein gekleidete Damen Platz genommen. Wenig später gesellte sich ein Herr zu Ihnen, dessen Kleidung weniger fein, eher schon dürftig und auch ein wenig übelriechend war. Er hatte auch ein Bier dabei. Ich vermute der Herr war so eine Art Performance-Künstler, denn er konnte ganz formidabel Rülpsen und in Richtung der Damen starren. Wäre ich mal erste Klasse gefahren, dachte ich mir, da gibt es sogar ein Unterhaltungsprogramm. Die beiden Damen fanden die Darbietung aber nicht so lustig und so flüchteten sie bei erster Gelegenheit in einen anderen Zugteil. Die weitere Fahrt verlief dann zunächst unspektakulär, selbst die weiteren Umstiege klappten einwandfrei. Gewissermaßen eine Verschnaufpause vor dem Tages-Finale.
Nicht weit hinter Nürtingen, also kurz vor meinem Ziel Tübingen, kam unser Zug auf freier Strecke zum Stehen. Um uns Passagieren die Wartezeit kurzweilig zu gestalten, führte der Schaffner einen zweistündigen Monolog auf, an dem Samuel Beckett seine Freude gehabt hätte.
Auftritt: Der Schaffner über Lautsprecher:
„Sehr geehrte Damen und Herren, wie sie sicher bemerkt haben, sind wir außerplanmäßig zum Stehen gekommen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht.“
20 Minuten später: „Ich habe Nachricht bekommen, dass vor uns ein Zug eine technische Störung hat. Unsere Weiterfahrt verzögert sich daher noch. Wie lange, weiß ich nicht.“
5 Minuten später: „In fünf Minuten bekomme ich Nachricht, wann es weitergeht.“
35 Minuten später: „Leider habe ich immer noch keine Nachricht, wann es weitergeht.“
20 Minuten später: „Der Zug vor uns wird in den nächsten Bahnhof abgeschleppt, wo wir ihn dann überholen können.“
15 Minuten später: „Wir fahren zurück nach Nürtingen. Ob ihnen dort ein Schienenersatz-Verkehr nach Tübingen angeboten wird, weiß ich nicht.“
25 Minuten später. Wieder in Nürtingen: „Dieser Zug fährt jetzt nach Tübingen.“ Und das tat er dann auch.
Es war spät geworden, und nach einem Abendessen mit der Mutter meiner Ex-Frau, fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Mir träumte von schwäbischen Indianern, die unseren Zug überfielen und einem, der mit Pfeil und Bogen vor mir herumfuchtelte und rief: „Horch ämol: nimmscht dai Händ hoch, sonscht schiess ich Dir ein fei schöns Löchle in Dai Köpfle nai! Bevor er seine Drohung in die Tat umsetzen konnte, stürmen allerdings die beiden feinen Damen vom Vormittag herbei. Mit blitzenden Augen schwangen sie ihre Handtaschen und droschen damit ein ums andere Mal auf die Eindringlinge ein und schlugen sie in die Flucht. Schweißgebadet wachte ich auf mit wurde schlagartig klar: Wenn es eine Hinfahrt gibt, dann gibt es auch eine Rückfahrt!
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