Lob der Widerwärtigkeit - Gedanken zur Wahlrechtsreform
- Felix Thiele
- 20. März 2023
- 3 Min. Lesezeit

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde die öffentlichen Äußerungen der Parteien zur Wahlrechtsreform großenteils niveaulos, ja in ihrer moralisch ausstaffierten Selbstsucht sogar ein bisschen widerlich. Ich meine damit nicht das Gesetzgebungsverfahren, durch das die politischen Vorgaben für eine Wahlrechtsreform in einen Gesetzestext gefasst werden. Die in diesem Verfahren von den Experten der Fraktionen, Ministerien und externen Gutachtern geführte Fachdebatte ist kontrovers aber sachlich. Und auch der Umstand, dass die auf dieser Grundlage vom Parlament beschlossene Neuregelung des Wahlrechts einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht offen steht, ist ein Zeichen einer funktionierenden, rechtsstaatlichen Demokratie. Nun ist es aus verschiedenen Gründen nicht zu einem überparteilichen Kompromissvorschlag gekommen - wofür sich alle gegenseitig die Verantwortung zuschieben, was darauf hindeutet, dass alle ihren Anteil am Scheitern einer überparteilichen Einigung haben. Soweit, so gut, so demokratisch.
Was wir nun auf der politischen Ebene erleben ist ein Schwall gegenseitiger Anschuldigungen und Unterstellungen. Die Munition, mit der geschossen wird, sind vor allem moralische Anschuldigungen; man wirft dem politischen Gegner Arroganz vor, Respektlosigkeit, Wahlmanipulation, Undemokratisches Verhalten usw,. Es gilt dabei die Regel: Je mehr jemand zu verlieren hat, desto lauter ist sein Geschrei. Das widerwärtige daran ist, dass Begriffe wie Demokratie und Anstand verdreht gebraucht werden. Wer sagt „Demokratisch“ meint nur noch „gut für mich“ und wer sagt „Unanständig“ meinet nur noch „schlecht für mich.“ Ehrlich gesagt, erinnert die politische Debatte im Moment stark an eine Schulhofprügelei, die ausbricht, wenn die üblichen Mechanismen der Machtverteilung - „Ey! Gib mir Dein Pausenbrot oder ich hau Dir eine runter!“ - nicht funktionieren, dann wird eben geschrien, geschubst und geboxt … bis die Pausenaufsicht mit ruhiger Hand Ordnung schafft. Zum Glück hat unser demokratisches System auch eine Pausenaufsicht, sie heißt nur anders, nämlich Bundesverfassungsgericht.
Im britischen Parlament gibt es vor den Bänken, auf denen die Abgeordneten Platz nehmen, eine rote Linie, die nicht übertreten werden darf. So entsteht ein Sicherheitsabstand von etwas mehr als zwei Schwertlängen zwischen Regierungs- und Oppositionsbänken. Zwar geht schon lange niemand mehr mit dem Schwert ins Parlament, aber diese Kuriosität mag uns vor Augen führen, das die Demokratie ein Instrument ist, um Konflikte gewaltfrei zu bewältigen. Die viel gelobten Sternstunden der Demokratie, in denen tiefe Gedanken inhaltlich auf Hochglanz poliert und rhetorisch gepimpt vorgetragen werden - immer mit dem allergrößten Respekt für den politischen Gegner natürlich - mögen uns als Vorbild dienen, wie man sich die Demokratie und ihre edelmütigen Repräsentanten idealerweise vorzustellen hätte. Wichtiger jedoch ist, dass die Demokratie sich in Situationen bewährt, in denen manche nach der Maxime handeln „Erst kommt mein Mandat und dann die Demokratie.“ Der Stil, in dem momentan mit dem politischen Gegner umgesprungen wird ist nicht fein. Begriffe wie Anstand und Respekt, die bestimmte Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs miteinander beschreiben sollen, so zu verdrehen, dass sie ausschließlich das eigene Machtinteresse absichern, ist mindestens sprachvergessen und eigentlich auch widerlich. Aber die Debatte wird sich sicher beruhigen. Natürlich ist es ein bisschen peinlich für Darth Söder und die bayerischen Dunkeltruppen, dass die CSU bei der nächsten Bundesgtagswahl an der 5% Hürde scheitern könnte und damit ebenso auf die Liste der bedrohten Tierarten gehört, wie die Linke, von denen nur noch einige wenige, lebensfähige Exemplare im östlichen Berlin nachgewiesen werden können. Bei allem Drama, wird weder die CSU in den Untergrund gehen, um von dort aus den Widerstand zu organisieren, noch wird die Linke in Berlin die Revolution ausrufen. Zusammenfassend kann man also sagen:
Unsere Demokratie ”kann” auch Widerwärtig. Und das ist eine gute Nachricht.
Comentários