Geht Gott jetzt in Rente? Teil 1/3 - Ein Insolvenzverwalter für die Kirche
- Felix Thiele
- 15. Nov. 2023
- 2 Min. Lesezeit

Laut einer Umfrage* haben nur noch gut 10 Prozent der Bevölkerung Deutschlands ein kirchlich-religiöses Weltbild. „Kirchlich-religiös“ umfasst zum einen die Kirche als Institution, die in unserer Gesellschaft bestimmte, vor allem soziale Dienstleistungen erbringt und zum anderen die Bewahrung und Vermittlung eines spezifischen Weltbildes, einer Religion, demzufolge ein höheres Wesen die Geschicke der Welt insbesondere der Menschen lenkt und ihnen Vorschriften macht, wie sie sich in dieser Welt zu verhalten haben. (Wie dieses höhere Wesen aussieht, wie es mit der Welt interagiert und was es sich dabei gedacht hat, uns in diese fragile Konstruktion genannt Universum hineinzusetzten und sich mit einem „Nun macht mal schön!“ zu verabschieden, dazu gibt in und zwischen den Religionen verschiedene Auffassungen.)
Die Kirche, zumindest die beiden großen Kirchen Deutschlands, die katholische und die evangelische, sind bankrott. Nicht unbedingt die Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen, Pflegeheime und anderen soziale Einrichtungen, die die Kirche betreibt. Denn diese werden, wie nicht konfessionelle soziale Einrichtungen auch letztlich vom Staat finanziert. Aber die Kirchen sind geistig-moralisch bankrott, zumindest schwer angeschlagen. Woran es im Einzelnen auch liegen mag, dass sich immer weniger Menschen Orientierung von der Religion und den Kirchen, die sie vermitteln sollen, erwarten - die Liste möglicher Gründe ist lang: Etwa die nicht enden wollende Serie von Missbrauchsfällen, die zunehmende Entfremdung von Klerus und Laien vor allem in der katholischen Kirche oder ein individualistisches Gesellschaftsbild, in dem sich der Einzelne immer weniger vorschreiben lassen will, was er für gut oder schlecht zu halten hat. Was auch immer also die Ursachen für die geringe Nachfrage nach kirchlichen Angeboten ist, wird es so laufen wie sonst auch: Wenn keiner mehr zu Karstadt geht, dann kann man den Laden verkleinern, restrukturieren, optimieren, mit staatlichen Mitteln stützen, man kann sogar auf die Idee kommen, ihn mit dem Kaufhof zu fusionieren (vade retro!), all das kann man probieren und vieles davon ist in den letzten Jahrzehnten auch probiert worden - bei den Kaufhäusern und in den Kirchen. Aber wenn einfach keiner mehr hingeht, dann macht der Laden zu und es kommt der Insolvenzverwalter! Im Fall der Kirche ist die Insolvenzmasse riesig und vieles ist erhaltenswert. Die Geschichte des Westens war für viele Jahrhunderte zutiefst durch Kirche und Religion geprägt und dieses Erbe sollte bewahrt werden: für unser kulturelles Selbstverständnis und als Anschauungsmaterial für Gegenwart und Zukunft. Denn wenn auch bei uns und generell im Westen die Religion eher auf dem Rückzug ist, so gilt das global gesehen nur bedingt. Und wenn unsereiner unter „gottlos“ erst mal nicht viel mehr versteht als die Abwesenheit von etwas - so wie „kinderlos“ oder „arbeitslos“ - so liegt die Sache in anderen Weltgegenden eher so, dass „gottlos“ einen Mangel bezeichnet, der unter Umständen einem Todesurteil gleichkommt. Die Auseinandersetzung mit der Religion ist also durchaus auch eine Zukunftsaufgabe.
*EKD Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 2022.
Demnächst hier:
Teil 2/3 - Ein natur-wissenschaftliches Weltbild ist kein Ersatz für ein religiöses Weltbild
Teil 3/3 - Die Bürde der Gottlosen: Von Philosophenkönigen und Ratgeber-Religionen
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