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Geht Gott in Rente?

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 27. Nov. 2023
  • 3 Min. Lesezeit



Höflichkeit und Anstand, lieber Leser, gebieten es nun endlich, die Frage zu beantworten: „Geht Gott in Rente?“ Der arme Mann beziehungsweise die arme Frau muss doch nun langsam mal wissen, ob er oder sie weiterhin morgens Thermoskanne und Aktentasche auf dem Gepäckträger festklemmt und in die Firma radelt oder ob er noch eine zweite Tasse Kaffe trinken kann, um sich dann um den Garten zu kümmern. Das Paradies soll ja letztlich etwas in Unordnung geraten sein.

Um die Kirche als Institution steht es schlecht. Zwar funktionieren die Sozialeinrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Altenheime, die sie überwiegend mit öffentlichen Mitteln betreibt, gut. Aber hier gilt, was der bekannte Gesundheitsökonom Bart Simpson schon in den 1990er-Jahren feststellte: „Lieber Gott, wir danken dir für gar nichts, denn wir haben alles selbst bezahlt.“ Als Institution, die die christliche Religion bewahrt und verbreitet, hat die Kirche ihren Kredit allerdings so gut wie verspielt. Diverse Versuche seitens externer Beratungsgremien (genannt: Laien) das Management der Kirche mit den Prinzipien der moderne Unternehmens- und Mitarbeiterführung vertraut zu machen, sind samt und sonders gescheitert. Für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land hat ein kirchlich-religiöses Weltbild jegliche Orientierungskraft verloren.

Was nun? So mancher glaubt, dass an die Stelle eines kirchlich-religiösen Weltbildes ein naturwissenschaftliches Weltbild treten könne. In der Tat ist unsere Kultur vom Smartphone bis zum Dosenöffner, von der Straßenbahn bis zum Autopiloten eine zutiefst technisch-wissenschaftliche. Aber ein Dosenöffner sagt uns nicht, welche Dose wir öffnen sollen. Und der Autopilot in einem Flugzeug entscheidet nicht, welches Reiseziel er denn heute anfliegen möchte, sondern er fliegt genau zu dem Ziel, das der Pilot vorher festgelegt hat.

Woher soll die Orientierung denn nun kommen, wenn Gott auf den Status einer Hypothese geschrumpft ist und auch die Naturwissenschaft diese nicht geben kann. Wohl kaum ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen, sei es eine Kleingruppe oder gleich eine Gesellschaft, kommt ohne Orientierung aus, denn Orientierungsbedarf gibt es immer dann, wenn vorhandenes Orientierungswissen keine befriedigenden Antworten gibt, also ständig. Häufig kommt es dann zu einem Konflikt. Wie man mit solchen Konflikten umgeht, ist eine uralte Frage, für die es bislang keine allgemein akzeptierte Antwort gibt. Aber es gibt natürlich Antworten. Unsere liberale Gesellschaftsordnung lässt sich als so eine Antwort verstehen.

Die liberale Gesellschaft soll die Freiheit des Einzelnen befördern und schützen und so ihren Bürgern eine möglichst selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens ermöglichen. Das unterscheidet sie auch von autoritären Systemen, die die Freiheit des Einzelnen anderen Staatszielen unterordnen. Die Freiheit des Einzelnen findet dort ihre Grenze, wo Dritten ein nicht-trivialer Schaden zugefügt wird. Nutzen die Individuen ihre Freiheit ausgiebig – und genau das ist es ja, was ihnen eine freiheitliche Gesellschaft ermöglichen soll – und behaupten und tun sie Dinge, die von anderen Mitgliedern der Gesellschaft als zu weitgehend empfunden werden, kommt es zu Konflikten über das gewollte Ausmaß individueller Freiheit. Es ist gerade die Absicht, möglichst viel Freiheit zu gewähren, die dazu führt, möglichst wenig zu verbieten oder auch nur zu regeln. Dass Grenzen der individuellen Freiheit in mühsamen Diskursen immer wieder geklärt und eventuell neu gezogen werden müssen, ist damit zugleich Stärke und Schwäche einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Die individuelle Freiheit, die wir uns wechselseitig zugestehen, ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Aushandlung. Freiheit in diesen Sinn ist kein „Macht was ihr wollt“, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung des Für und Wider für alle Betroffenen. Daraus ergibt sich dann auch Orientierungswissen für das Handeln des Individuums in der Gesellschaft. Die andauernde Diskussion darüber, was Freiheit recht verstanden bedeuten soll, ist natürlich für das Individuum bedeutend anstrengender, als sich vom Pfarrer oder Priester sagen zu lassen, was man zu tun und zu wählen hat. Denn letztlich ist diese Form des gesellschaftlichen Miteinanders mit der Aufforderung verbunden, selbst zu denken, sich im Leben zu orientieren oder um es einmal mit Kant zu sagen, sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit des Denkens zu befreien. Ob es uns wert ist, diese Bürde zu tragen - denn machen wir uns nichts vor: Selber Denken ist anstrengend und der Andersdenkende ist es erst recht - wird darüber entscheiden, ob unsere liberale Gesellschaft eine Zukunft hat oder ob wir sie für die vermeintliche Sicherheit eines autoritären Gesellschaftssystems aufgeben wollen.


Ach und übrigens: Das lag heute im Briefkasten.


***


Rentenbescheid


Gott wird mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand versetzt.

Nebentätigkeitsklausel: Um seine reiche Erfahrung in allen menschlichen Dingen zum Wohle der Menschheit einzusetzen, wird ihm erlaubt sich beratend (!) als Sachverständiger zu betätigen.

Bei Zuwiderhandlung droht Ein längerer Aufenthalt in der betriebseigenen Wärmestube

gez. Luzifer





 
 
 

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