Der große Xi Jinping, das kleine Virus SARS und die Wissenschaftsfreiheit
- Felix Thiele
- 26. Dez. 2022
- 2 Min. Lesezeit

Die Nachrichten, die uns derzeit aus China erreichen, sind bedrückend. Fotos aus überfüllten Kliniken, wo Patienten dicht an dicht auf dem Boden liegen, Berichte von überlasteten Notaufnahmen, und Apotheken, in denen es nicht einmal mehr fiebersenkende Medikamente gibt. Was uns nicht erreicht sind verlässliche Zahlen zum Infektionsgeschehen in China. Offiziell gibt es in ganz China schon seit Tagen keinen Corona Toten. Fotos auf denen sich die Leichensäcke vor einem Krematorium stapeln, sprechen eine andere Sprache.
Nachdem das Regime in Beijing das Land mit seiner Null-COVID Strategie jahrelang strangulierte, vollzog es Anfang Dezember eine radikale Wende und scheint nun auf eine schnelle Durchseuchung der Bevölkerung zu setzen. Dabei nimmt sie tausende, wenn nicht hunderttausende vermeidbare Tote in Kauf. Während der Vorsitzende Xi die Null-COVID Strategie noch als Volkskrieg gegen das Virus bezeichnete und sich selbst für die vermeintlichen Erfolge feiern ließ, ist in Sachen COVID nun nichts zu hören von ihm. Das darf einen allerdings auch nicht wundern. Es war nämlich kein medizinisch begründetes Umdenken der Führung, das Anfang Dezember zu einer Öffnung in China führte, sondern massive Proteste der Bevölkerung gegen den fortdauernden Lockdown; Proteste wie man sie seit 1989 in China kaum gesehen hat. Man darf sich ausmalen, was auf den Straßen Chinas los sein könnte, wenn die Bevölkerung realisieren würde, dass auch die neue Strategie der ungebremsten Durchseuchung zwar relativ schnell zu einer Immunität große Bevölkerungsanteile führen wird, aber das, wie gesagt, um den Preis vieler vermeidbarer Todesfälle. Das Wohlergehen der Bevölkerung ist der Regierung in Peking offensichtlich herzlich egal. Ob und wie, sich das Regime von Experten beraten lässt, ist mir nicht bekannt. An der notwendigen Expertise wird es mit Sicherheit nicht fehlen. Auch habe ich keinerlei Zweifel daran, dass die überwältigende Mehrheit der Ärzte in China, genau so wie überall sonst auf der Welt, sich nur ungern politischen Vorgaben fügt und schweigt, obwohl das gesundheitliche Wohl ihrer Patienten mit Füßen getreten wird.
Wollte sich die Regierung in Beijing tatsächlich medizinisch-wissenschaftlich beraten lassen, dann müsste sie zulassen, dass ihre Pandemie-Politik - deren Ziele und die zur Verwirklichung dieser Ziele notwendigen Maßnahmen - hinterfragt und neu gedacht wird, das mit anderen Worten Kritik geübt werden darf, ja das Kritik sogar eingefordert wird! Wissenschaft braucht zunächst und vor allem Gedanken-Freiheit. Damit eng verbunden ist die Freiheit des Gedankenaustauschs. Ohne die Möglichkeit einer freien, kritische Diskussion auch kontroverser Themen, kann wissenschaftliche Politikberatung ihr Potential nicht entfalten Und das kann Leben retten. Wenn das überhaupt von Interesse ist. Schließlich kann man sich als Staats- und Weltenlenker nicht um alles kümmern.
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