Das Solidarische Gesundheitssystem - ein Auslaufmodell?
- Felix Thiele
- 15. Mai 2024
- 2 Min. Lesezeit

Unsere Gesundheitsversorgung ist im internationalen Vergleich sehr teuer und wird - unter anderem durch den medizinischen Fortschritt - ziemlich sicher in Zukunft nicht billiger. Die steigenden Gesundheitskosten werden seit Jahrzehnten dokumentiert, analysDasiert, beklagt und von der Politik mit Reformen im Takt der Legislaturperioden notdürftig repariert. Während die Reformen als politische Heldentat in der Öffentlichkeit beworben werden, versucht man gleichzeitig, dem Gesundheitswesen unauffällig Geldquellen zu erschließen, die eigentlich dafür nicht gedacht sind. Eine dauerhaft solide Finanzierung stellt man sich anders vor.
Unser Gesundheitssystem funktioniert nach dem Solidaritätsprinzip, das heißt, alle Versicherten sollen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die bestmögliche Behandlung bekommen. Bislang kann dieser Anspruch noch einigermaßen erfüllt werden. Finanziert wird dieses System in den letzten Jahrzehnten vor allem durch eine gut verdienende Mittelschicht. Es gibt jedoch deutliche Anzeichen, dass diese Mittelschicht ausdünnt, möglicherweise sogar verschwindet. Bei weiter steigenden Kosten und schrumpfenden Einnahmen droht ein Systembruch in der Gesundheitsversorgung, der aus heutiger Sicht völlig unklare Folgen für das Solidaritätsprinzip hätte. Im schlimmsten Fall droht eine Zwei-Klassen-Medizin, in der „Fachärzte für Reiche“ eine kleine globale Oberschicht mit dem Besten versorgen, was die Medizin zu bieten hat, und Armenärzten für den Rest. Es steht viel auf dem Spiel, denn so wie das gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstehende Gesundheitswesen eine Stütze der sich entwickelnden Massendemokratie war, so wäre ein Zusammenbruch des solidarisch finanzierten Gesundheitswesens sicher auch keine Hilfe bei der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dass sich mit dem Gesundheitswesen populistische Politik machen lässt, hat Boris Johnson 2016 im Brexit-Wahlkampf gezeigt. Er behauptete, dass man der EU wöchentlich 350 Millionen britische Pfund überweise, die man nach dem Brexit in das marode Nationale Gesundheitswesen pumpen könne. Passiert ist nach dem Brexit nichts auch nur annäherndes, denn Johnsons „Berechnung“ war weitestgehend aus der Luft gegriffen. Einen Populisten kümmert das nicht weiter, denn ihm geht es nicht um die Wahrheit sondern um die Mobilisierung seiner Wähler.
Die Engpässe im Gesundheitswesen, die wir im Moment erleben, sind nur ein fader Vorgeschmack auf das, was uns bevorsteht, sollte das solidarische System zusammenbrechen. Was wenn die Wirtschaftskraft im Westen weiter sinkt und wir um Ressourcen mit anderen, aufstrebenden Weltteilen konkurrieren? Was wenn die Vorprodukte für Arzneimittel, die so heißt es, zu 60 -80 % aus China und Indien zu uns kommen, nicht mehr bevorzugt und auch nicht in den benötigten Mengen zu uns geliefert werden? Was wenn Europa durch Putin, dem sein Platz in der Geschichte wichtiger ist als die Menschen, die er dafür opfert, in einen Ressourcen verschlingenden Krieg verwickelt wird?
Das Wohlstandsniveau, a das wir uns gewöhnt, haben nicht wir uns erarbeitet, sondern die Generationen vor uns. Und nichts garantiert uns, dass dieses hohe Niveau, auf dem auch unser Gesundheitswesen immer noch ist, gehalten werden kann. Ganz sicher ist jedoch, dass es überall auf der Welt genügend Menschen und Gesellschaften gibt, die liebend gerne unseren Platz einnehmen, während wir auf den Ranglisten von Wirtschaftskraft, Bildung und so weiter nach unten durchgereicht werden.
Ausführlicher dazu.
Felix Thiele (2024) Medizin im Wandel. Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, Kapitel 4.1 Demokratie und Gesundheit
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